Numismatik

Bethel-Euro: Numismatische Parallelwelt

Bielefelder Stadtteil macht fiskalpolitisch sein eigenes Ding

Mit dem Bethel-Euro hat Deutschland ein echtes numismatisches Kuriosum zu bieten. Die lokale Wirtschaft fördern und Suchtkranke vom Saufen in der Innenstadt abhalten? Die Motivation für die Einführung der „Bethel-Mark“ liegt wohl irgendwo dazwischen. Fest steht: Mit ihrer über 100-jährigen Geschichte gilt die Regionalwährung, die in einem Stadtteil von Bielefeld kursiert, als älteste ihrer Art in Deutschland.

Wer im nordrhein-westfälischen Bielefeld im Ortsteil Bethel in der Schlange beim Bäcker, Blumenhändler oder Buchladen steht und andere Kunden dabei beobachtet, wie sie nach passenden Banknoten für den Einkauf im Portemonnaie suchen, sollte sich auf einen überraschenden Anblick einstellen: Anstelle der bunten Euro-Banknoten mit den Brücken-Bildnissen legen sie andere Scheine auf den Tisch. Ein 20-Euro-Schein zeigt das frühere Wohnheim Groß Bethel, in dem sich heute ein Bildungszentrum befindet. Auf dem 50-Euro-Schein ist das Mutterhaus Sarepta abgebildet, das aus der Ferne wie Hogwards aus der Harry Potter-Reihe aussieht und einst Heimat für 2.000 Diakonissen war. Dem numismatisch bewanderten Betrachter fallen zudem die Begriffe Warengutschein und Bethel-Euro auf.

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Alternative im Bargeldsterben

Bethel ist nur eines von vielen Beispielen für Orte in Deutschland und ganz Europa, die auf so genannte Regionalwährungen setzen. In einer Zeit, in der viele Bürger die Abschaffung des Bargeldes befürchten, entdecken lokale Institutionen die Vorteile eines Zahlungsmittels, das in der örtlichen Community verbleibt. Im britischen Brixton zum Beispiel mit Banknoten, die die Musiklegende David Bowie zeigen. Während gerade erst die Produktion der 500-Euro-Banknoten eingestellt wurde und viele Beobachter erwarten, dass der 200-Euro-Schein bald folgen könnte, können sich Banknotendruckereien so über zusätzliche Kunden freuen.

Währungskuriosum Bethel-Euro

Die bunten Banknoten aus Bethel mögen als Kuriosum in der deutschen Währungslandschaft gelten. Im Bielefelder Stadtteil Gadderbaum, der als Sitz für die sozialen Einrichtungen der Stiftungen dient, gehören sie allerdings zum Alltag. Wer im Blumengeschäft Bethel oder in der Bethel-Buchhandlung einkauft, kann dort – der Name gibt es ja fast vor – mit Bethel-Euro bezahlen. Seit der Einführung des Euro gibt es sieben Geldscheine mit Werten zwischen 50, 20, 10, 5, 2 und 1 Euro sowie 50 Cent in drei verschiedenen Abmessungen.
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Notgeld-Schein aus dem Jahr 1919.

Bethel-Euro zeigt lokale Gebäude

Auf den Banknoten sind wichtige Gebäude aus der Ortschaft Bethel zu sehen. Beispielsweise besagtes Haus Groß Bethel vom eingangs erwähnten 20-Bethel-Euro-Schein: Bevor das heutige Hochschulzentrum dort einzog, diente das Gebäude einst als Wohnheim für Kriegsversehrte. Auf anderen Noten sieht man auch die Bethel-Pforte oder die Mamre-Patmos-Schule. Nach Stiftungsangaben wurden insgesamt etwa 100.000 Bethel-Euro-Scheine im Gesamtwert von knapp einer Million Euro gedruckt. Allein zum Euro-Start im März 2002 waren es Scheine im Gesamtwert von 500.000 Euro. Als Regionalwährung gibt es das Bethel-Geld der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel aber bereits seit 1908.

Wirtschaftliche Bedeutung des Bethel-Euro sinkt

Im Zahlungsverkehr des Bielefelder Stadtteils spielen die Bethel-Euros inzwischen eine untergeordnete Rolle. Nur noch etwa 15 Prozent des Umsatzes in den Bethel-Geschäften werden mit Bethel-Euros abgewickelt, wie der damalige Bethel-Finanzvorstand Hans-Friedrich Hofacker im Jahr 2001 schätzte. Für Mitarbeiter der Stiftungen sind die bunten Scheine vor allem eine Möglichkeit, beim Einkaufen ein bisschen Geld zu sparen: Die örtliche Sparkasse Bielefeld tauscht 100 Euro gegen 105 Bethel-Euros. Beim Einkaufen jedoch werden beide Währungen paritätisch umgerechnet. Die Folge: Beim Blumenkauf oder einer größere Bücherbestellung spart der Kunde mit Bethel-Euro jeweils fünf Prozent.
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Als Material für die Bethel-Banknoten diente nach dem ersten Weltkrieg auch Pappe.

Nicht nur Rabattmarke

Die heutige Bedeutung der Bethel-Euros sollte jedoch nicht den Eindruck erwecken, dass die einstige Anstaltswährung einzig als Rabattmarke konzipiert war. Tatsächlich war die einstige Bethel-Mark ein wichtiger Bestandteil des makroökonomischen Konzeptes der Ortschaft, in der seit 1867 eine ganze Reihe an sozialen Einrichtungen aufgebaut wurde, um Menschen mit körperlichen Behinderungen oder psychischen Beeinträchtigungen, alten und pflegebedürftigen Menschen, Jugendlichen mit sozialen Problemen und wohnungslosen Menschen zu helfen.

Kampf gegen die Hitler-Regierung

In Folge der Wahlerfolge der NSDAP kam es zu einem breit angelegten Abzug des größten Teils der Einlagen ausländischer Kunden bei deutschen Banken. Die Deflationspolitik der Regierung Brüning, die später mit dem „Proleten-Dollar“ Hohn und Spott erntete, machte sich auch in Bethel bemerkbar. Die Anstalten gingen zur Auszahlung der Löhne zu einem Viertel in Reichsgeld und zu drei Vierteln in Bethel-Geld über. So war es möglich, den Geldfluss innerhalb der Ortschaften aufrecht zu erhalten.
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Der Style der alten Bundesrepublik: Wie eine echte Banknote kommt dieser Warengutschein aus dem Jahr 1958 daher.

Gegenwind kam allerdings von der Reichsregierung, die im Oktober 1931 einen Erlass ausgab, mit dem die Herausgabe von regionalem Notgeld eingedämmt werden sollte. Dazu zählte aus Sicht der Regierung auch das Bethel-Geld. In Bielefeld sah man dies freilich anders. Schließlich lenkte auch der Reichsminister der Finanzen ein. Das Bethel-Geld konnte somit auch nach der Machtergreifung Hitlers im Umlauf bleiben. Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs und der Reichsmark war eine Wiedereinführung des Bethel-Geldes im Zuge der Währungsreform zuerst nicht geplant – in Bethel hatte man schlicht andere Probleme. Alte Warengutscheine, die noch in Reichsmark ausgestellt waren, hatten ihre Gültigkeit verloren und mussten aus dem Verkehr gezogen werden. Wie die Reichsmark wurden sie an mehreren Betheler Umtauschstellen gegen die neue „Deutsche Mark“ umgetauscht.

Suchtprävention per Regionalwährung

Doch die Anstaltsmitarbeiter machten sich in der Nachkriegszeit für die Wiedereinführung der Warengutscheine und der damit verbundenen Rabatte stark. Für die hilfsbedürftigen Bethel-Bewohner bedeutete das neue Geld ein – für Menschen mit Behinderungen in dieser Zeit nicht selbstverständliches – Stück Freiheit. Sie konnten ihr Geld auf dem Anstaltsgelände beliebig einsetzen und waren, so zumindest der Plan, durch das Bethel-Geld vor den Gefahren bewahrt, die mithilfe der regulären D-Mark in der Konsumlandschaft Bielefelds lauerten. Denn Alkohol und Drogen waren in den anstaltseigenen Geschäften nicht zu bekommen. Die Anstaltsleitung verkaufte diese Einschränkung als Schutzmaßnahme: In einer Stellungnahme gegenüber der Bank Deutscher Länder heißt es: „Ein großer Teil der Pfleglinge“ sei „geistig nicht ganz vollwertig“, so dass „viele von ihnen mit ihrem zum Teil gar nicht einmal kleinen Taschengeld allerlei Unfug anrichten“ könnten.
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Ausführliche Bedienungsanleitung auf der Rückseite des Warengutscheins.

Bethel-Geld vor dem Aus?

In der Folgezeit musste sich die Anstaltsleitung mit einigen Problemen beschäftigen, mit denen sonst nur eine Zentralbank zu kämpfen hat: Etwa ein Drittel der Anfang 1955 in Umlauf gebrachten Warengutscheine war unbrauchbar geworden und musste ersetzt werden. 1958 verschärfte sich das Problem sogar noch. Von den damals im Umlauf befindlichen 712.000 DM mussten 380.000 DM vernichtet werden. Der Auftrag für den Nachdruck der Banknoten ging nicht, wie sonst üblich, an eine anstaltseigene Druckerei, sondern an einen wohlbekannten Namen im Wertpapierdruck: Giesecke & Devrient aus München zeichnete fortan für die Produktion der Bethel-Banknoten verantwortlich. Mit dem Ausgabedatum 1. Januar 1958 kamen die neuen Banknoten in deutlich besserer Verarbeitung in den Verkehr. Seit 2002 folgt Bethel dem Vorbild des gesamten Kontinents und gibt seine Warengutscheine unter der Bezeichnung Bethel-Euro aus.
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50 Bethel-Cent
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1 Bethel-Euro
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5 Bethel-Euro
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20 Bethel-Euro

Unser Autor Sebastian Wieschowski arbeitet hauptberuflich als Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld-Bethel. Das Fenster seines Büros ist somit auf den Warengutschein zu 20-Bethel-Euro abgebildet.

Fotos/Grafik, wenn nicht anders ausgewiesen: Sebastian Wieschowski

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